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Brief für Steuerpflichtige im Privatbereich des Monats Juli 2011


Sehr geehrte Damen und Herren,


der Ihnen nun vorliegende Brief möchte Sie über wesentliche, vollzogene oder geplante Änderungen im Steuer- und Wirtschaftsrecht der letzten Monate informieren und Ihnen Anlass bieten, auch bestehende Sachverhalte zu überprüfen.

Bitte lesen Sie im Einzelnen:


Inhalt

1.

Keine Angaben über Rentenbezüge können Steuerhinterziehung sein

2.

Haftung des Inhabers eines eBay-Kontos bei unbefugter Konto-Nutzung

3.

Wirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch Übergabe des Kündigungsschreibens an Ehegatten

4.

Abzug von Reisekosten bei Sprachkurs im Ausland

5.

Zusammenballung von Einkünften: Sind geringe Teilzahlungen schädlich?

6.

Verwertung von Steuer-CDs im Besteuerungsverfahren ist zulässig

7.

Widersprüchliches zur Europarechtskonformität der Anrechungsbegrenzung

8.

Gebührenpflicht für verbindliche Auskünfte ist verfassungskonform

9.

Haftung des Landwirts für Schäden durch ausbrechende Jungrinder

10.

Alter wiegt bei Sozialauswahl stärker als Kinderzahl

11.

Betriebsteilverlagerung ins grenznahe Ausland ist keine Betriebsstilllegung

12.

Finanzamt darf elektronisch falsch übertragene Lohnsteuerdaten nachträglich berichtigen

13.

Zweitwohnung auf Mallorca ohne Förderung durch Fiskus

14.

Freigrenze Betriebsfeste: geplante oder teilnehmende Personen?

15.

Stiftungsgründung durch Erbeinsetzung: Zuwendungen in Vermögensstock

16.

Kein Entgelt für die Übersendung von "Zwangskontoauszügen"

17.

Versagung der Restschuldbefreiung wg. Verletzung von Mitwirkungspflichten

18.

Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur bei konkretem Verdacht

19.

Mutterschutzzeiten in betrieblicher Zusatzversorgung zu berücksichtigen

20.

Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten in Zusatzversorgung

21.

Voraussetzungen und Durchsetzung einer Nettolohnvereinbarung

22.

Zulagenwiderruf in Altfällen - möglicherweise wirksam

23.

Abmahnung verbraucht Kündigungsgrund auch bei Straftat

24.

Ist ein Vertragsarzt Amtsträger im Sinne des Strafrechts?

25.

Zum Beginn der Festsetzungsfrist bei Antragsveranlagungen




1. Keine Angaben über Rentenbezüge können Steuerhinterziehung sein

Kernaussage
 Unterlassene Angaben von erhaltenen Rentenzahlungen in der Einkommensteuererklärung können als Steuerhinterziehung gewertet werden. Für eine Steuerhinterziehung reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer laienhaften Bewertung die Existenz eines Steueranspruches erkennen und auf diesen einwirken kann. Anderenfalls käme allein eine Strafbarkeit von Steuerfachleuten in Betracht.

Sachverhalt
 Die Kläger, ein pensionierter Beamter und seine Ehefrau, die seit Juli 1993 eine Regelaltersrente bezog, wurden zusammen zur Einkommenssteuer veranlagt. In den eingereichten Steuererklärungen 1993 - 2006 hatten sie die Rentenbezüge nicht angegeben. Lediglich für 2007 hatten sie bei "Renten lt. Anlage R für Ehefrau" ein Kreuz gesetzt, diese Anlage aber nicht beigefügt. Das beklagte Finanzamt erließ daraufhin nunmehr bestandskräftige Steuerbescheide. Nachdem das Finanzamt 2009 Kenntnis von der Altersrente erlangt hatte, änderte es die Einkommenssteuerbescheide 1998 - 2007, was entsprechende Nachzahlungen zur Folge hatte. Die Kläger wandten dagegen ein, das Finanzamt hätte aufgrund der Kenntnis des Geburtsdatums der Klägerin zugleich Kenntnis von dem Rentenbezug haben müssen. Für die Veranlagungszeiträume 1998 - 2003 sei ohnehin Verjährung eingetreten. Schließlich seien sie aufgrund einer Falschinformation des Finanzamtes in dem Glauben gewesen, die Rente der Klägerin unterliege nicht der Besteuerung.

Entscheidung
 Das Finanzgericht wies die Klage ab. Grundsätzlich hat der Steuerpflichtige den steuerlich relevanten Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung vorzulegen. Aus den Akten haben sich keine objektiven Hinweise auf einen Rentenbezug ergeben, denn in den Steuererklärungen wurde immer "Hausfrau" angegeben. Allein aus dem Alter der Klägerin konnte nicht ohne Weiteres auf einen Rentenbezug geschlossen werden. Obwohl ausdrücklich auf den Steuervordrucken nach Ruhegeldern gefragt wurde, waren die Anlagen nie eingereicht worden. Die Kläger hat damit unvollständige Angaben gemacht, was nach Überzeugung des Gerichts in der Absicht geschah, die Einkünfte zu verschleiern. Zudem sei von einer Steuerhinterziehung auszugehen, so dass aufgrund der dann eintretenden Verlängerung der Verjährungsfrist auf 10 Jahre eine Verjährung nicht in Betracht komme. Die von den Klägern behauptete Fehlinformation, die Rente sei steuerfrei, wurde nicht hinreichend dargetan.

Konsequenz
 Hinsichtlich aller Bezüge muss der Finanzbehörde vollständig Auskunft erteilt werden. Wer dies unterlässt, muss mit rechtlichen Folgen rechnen.

2. Haftung des Inhabers eines eBay-Kontos bei unbefugter Konto-Nutzung

Kernaussage
 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem aktuellen Urteil klargestellt, dass der Inhaber eines ebay-Accounts nicht ohne weiteres bei Vertragsabschlüssen über den eigenen Account verpflichtet wird und daher nicht vertraglich für Erklärungen haftet, die ein unbefugter Dritter unter Verwendung dieses Kontos abgibt.

Sachverhalt
 Über das passwortgeschützte Konto eines ebay-Users wurde eine umfassende Gastronomieausstattung mit einem Startgebot von 1 EUR zum Kauf angeboten. Der Kläger gab daraufhin ein Maximalgebot von 1.000 EUR ab. Einen Tag später wurde die Auktion beendet, indem die Beklagte das Angebot zurücknahm. Da der Kläger zum Zeitpunkt der Rücknahme der Höchstbietende war, forderte er die Beklagte auf, den Vertrag zu erfüllen und ihm das Eigentum an der Einrichtung zu verschaffen. Nach Ablauf der gesetzten Frist verlangte er sodann Schadensersatz wegen Nichterfüllung von mehr als 30.000 EUR. Die Beklagte weigerte sich, da sie ein Angebot nie abgegeben habe. Die Parteien stritten nun darüber, ob das Angebot von der Beklagten ohne ihr Wissen von ihrem Ehemann auf der Verkaufsplattform eingestellt worden ist. Die Klage blieb in sämtlichen Instanzen erfolglos.

Entscheidung
 Der BGH entschied, dass auch bei Internet-Geschäften im Rahmen von ebay-Verkäufen die allgemeinen Stellvertretungsregeln (§§ 164 ff. BGB) gelten. Allein die unsorgfältige Verwahrung der Kontaktdaten eines ebay-Mitgliedskontos habe nicht zur Folge, dass der Kontoinhaber sich die von einem unbefugten Dritten abgegebenen Erklärungen zurechnen lassen müsse. Erklärungen, die unter dem Namen eines anderen abgegeben worden sind, verpflichteten den Namensträger nur dann, wenn sie in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht erfolgten, vom Namensträger nachträglich genehmigt würden oder wenn die Grundsätze über die Anscheins- oder Duldungsvollmacht griffen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach die Mitglieder der Auktionsplattform grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden. Diese AGB seien nur zwischen ebay und dem Inhaber des Mitgliedskontos vereinbart und hätten daher keine Geltung zwischen dem Anbieter und dem Bieter.

Konsequenz
 Grundsätzlich wird derjenige Vertragspartner, der den Account auch tatsächlich genutzt hat. Wer allerdings genau weiß, dass eine Drittperson den ebay-Account nutzt und dies nicht unterbindet, wird sich auf einen Missbrauch nicht berufen können.

3. Wirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch Übergabe des Kündigungsschreibens an Ehegatten

Kernaussage
 Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wird als Willenserklärung unter Abwesenden erst wirksam, wenn sie dem Kündigungsgegner zugegangen ist (§ 130 Abs. 1 BGB). Der Kündigende trägt das Risiko der Übermittlung und des Zugangs der Kündigungserklärung. Eine Kündigung ist dann zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Das Bundesarbeitsgericht entschied nun, dass ein Zugang auch dann anzunehmen ist, wenn die Kündigung an den Ehegatten außerhalb der Wohnung übergeben wird.

Sachverhalt
 Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2003 als Assistentin der Geschäftsleitung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung. Nach einem Konflikt verließ die Klägerin Ende Januar 2008 ihren Arbeitsplatz. Mit einem Schreiben vom selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 29.2.2008. Das Kündigungsschreiben ließ sie durch einen Boten dem Ehemann der Klägerin überbringen, dem das Schreiben am Nachmittag des 31.1.2008 an seinem Arbeitsplatz in einem Baumarkt übergeben wurde. Der Ehemann der Klägerin ließ das Schreiben zunächst an seinem Arbeitsplatz liegen und reichte es erst am 1.2.2008 an die Klägerin weiter. Mit ihrer Klage wollte die Klägerin festgestellt wissen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht mit dem 29.2.2008, sondern erst nach Ablauf der Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende mit dem 31.3.2008 beendet worden ist. Die Klage blieb erfolglos.

Entscheidung
 Da das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 31.1.2008 der Klägerin noch am selben Tag zugegangen ist, ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Ablauf der Kündigungsfrist von einem Monat zum 29.2.2008 beendet worden. Der Ehemann der Klägerin war bei der Übergabe des Kündigungsschreibens am Nachmittag des 31.1.2008 Empfangsbote. Dem steht nicht entgegen, dass ihm das Schreiben an seinem Arbeitsplatz und damit außerhalb der Wohnung übergeben wurde. Entscheidend ist, dass unter normalen Umständen nach der Rückkehr des Ehemanns in die gemeinsame Wohnung mit einer Weiterleitung des Kündigungsschreibens an die Klägerin noch am 31.1.2008 zu rechnen war.

Konsequenz
 Wird ein Kündigungsschreiben einer Person übergeben, die mit dem Arbeitnehmer in einer Wohnung lebt und die aufgrund ihrer Reife und Fähigkeiten geeignet erscheint, das Schreiben an den Arbeitnehmer weiterzuleiten, ist diese als Empfangsperson des Arbeitnehmers anzusehen. Dies ist in der Regel bei Ehegatten der Fall. Die Kündigungserklärung des Arbeitgebers geht dem Arbeitnehmer allerdings nicht bereits mit der Übermittlung an den Empfangsboten zu, sondern erst dann, wenn mit der Weitergabe der Erklärung unter gewöhnlichen Verhältnissen zu rechnen ist.

4. Abzug von Reisekosten bei Sprachkurs im Ausland

Kernproblem
 Der EDV-Berater in Las Vegas, der Sportmediziner am Gardasee, die Englischlehrerin in Dublin: Was haben alle diese Fälle gemeinsam? Sie hätten früher vor den Finanzgerichten bei dem Versuch, die Reisekosten für Sprachkurse auch nur anteilig steuerlich geltend zu machen, keine Chance gehabt. Grund war das aus dem Einkommensteuergesetz hergeleitete Aufteilungsverbot gemischt veranlasster Aufwendungen. Im letzten Jahr hat der Bundesfinanzhof (BFH) seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und gelangt jetzt zu einem Aufteilungsgebot. Wonach gesucht werden muss, ist ein Aufteilungsmaßstab; und das ist nicht einfach.

Sachverhalt
 Die o. g. Aufzählung wird ergänzt durch den Bundeswehroffizier in Südafrika. Der Zugführer gab an, englische Sprachkenntnisse für den Einsatz in multilateralen Stäben der Bundeswehr zu benötigen. Was liegt da näher, als ein 3-wöchiger Sprachkurs in Südafrika? "Vieles", dachte sich das Finanzamt und verwies den Vortrag des Offiziers in das Reich der Fabeln, obwohl nur am Wochenende Zeit für Ausflüge blieb. Zunächst erkannte das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg fast 2/3 der Gesamtkosten an, u. a. für Flug, Kursgebühren und Verpflegungsmehraufwand. Nach der Revision des Finanzamts wurde der Fall an das FG zurückverwiesen. Jetzt war man anderer Meinung und erkannte angesichts mehrerer Ungereimtheiten gar nicht mehr an. So ging es wieder zum BFH; der gibt den Ball jetzt ein 2. Mal zurück.

Entscheidung
 Der VI. Senat des BFH stellt die Grundsätze zunächst wie folgt dar: Die Fortbildungskosten sind uneingeschränkt abziehbar, wenn die Reise ausschließlich oder nahezu ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen ist. Bei privater Mitveranlassung ist nach dem Verhältnis der beruflichen und privaten Zeitanteile aufzuteilen, wenn die Veranlassungsbeiträge zeitlich nacheinander liegen. Werden diese gleichzeitig - wie im Streitfall - verwirklicht, kann ein anderer Maßstab in Betracht kommen. Dabei verkennt der BFH die private Mitveranlassung eines Sprachkurses im Ausland nicht. Auf der anderen Seite sei aber zu berücksichtigen, dass eine Sprache im Ausland leichter zu erlernen sei, wenn sie dort (ggf. neben anderen Sprachen) auch gesprochen werde. Es dürfe nicht allein darauf abgestellt werden, dass der Kursbesuch im Inland den gleichen Erfolg haben könnte oder niedrigere Kosten verursache.

Konsequenz
 Der BFH gibt am Ende einen Hinweis, der von praktischer Bedeutung sein kann: Sollte keiner der Beteiligten einen anderen Aufteilungsmaßstab nachweisen, so bestehen keine Bedenken, von einer hälftigen Aufteilung sämtlicher mit der Reise verbundenen Kosten auszugehen. Zumindest zeigt auch dieser Fall, dass die Zeiten vorbei sein dürften, in denen ein Finanzamt (wie bereits einmal erlebt) im Zeitalter des Aufteilungsverbots die Kosten für einen im Winter abgehaltenen Ärztekongress im Skiort Davos trotz Körperbehinderung mit dem Hinweis abschmettert, "allein der Blick auf die Berge reiche aus".

5. Zusammenballung von Einkünften: Sind geringe Teilzahlungen schädlich?

Kernproblem
 Für außerordentliche Einkünfte kann ein ermäßigter Steuersatz bei Bemessung der Einkommensteuer in Betracht kommen. Werden an einen Arbeitnehmer Abfindungen gezahlt, wird in ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grds. dann eine Außerordentlichkeit bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Keine Zusammenballung liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in 2 oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt. Ob hier Bagatellgrenzen in Betracht zu ziehen sind, war Anlass eines Rechtstreits beim BFH.

Sachverhalt
 Ein Arbeitnehmer erhielt wegen des Verlustes seines Arbeitsplatzes eine Abfindung von ca. 77.800 EUR. Davon wurden 10.000 EUR im Jahr 2005 (hiervon steuerpflichtig: 2.800 EUR) und der Restbetrag von 67.800 EUR in 2006 gezahlt. Als laufende Bezüge erhielt er von seinem alten Arbeitgeber im Jahr 2005 noch ein Gehalt von 42.000 EUR und in 2006 lediglich einen geringen geldwerten Vorteil von ca. 2.000 EUR. Während das Finanzamt mangels Zusammenballung der Einkünfte im Jahr 2006 für die Hauptentschädigung keinen ermäßigten Steuersatz gewähren wollte, ging das Finanzgericht von einer gesetzlich nicht vorgesehenen unschädlichen Bagatellgrenze von 5 % der insgesamt steuerpflichtigen Abfindungsbeträge aus. Im Ergebnis (2,8 zu 70,6 = 4 %) reichte das, um eine Unschädlichkeit des in 2005 gezahlten Teilentgelts zu begründen. Hiergegen legte das Finanzamt Revision ein.

Entscheidung
 Der BFH verlangt bei Prüfung der Außerordentlichkeit durch Zusammenballung eine individuelle Ausnahmesituation in der Progressionsbelastung. Das gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhalten habe und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt werde. Eine starre Prozentgrenze könne nicht die gesetzlich geforderte Prüfung der Außerordentlichkeit im Einzelfall ersetzen. Bezogen auf den Streitfall seien zunächst steuerfreie Beträge mangels Progressionsauswirkung außer Acht zu lassen. Darüber hinaus bewirke die Teilleistung von 2.800 EUR im Hinblick auf die anderen Beträge keine relevante Progressionsverschiebung im Jahr 2005, die geeignet wäre, die Ausnahmesituation der Progressionsbelastung im Streitjahr 2006 zu beeinflussen.

Konsequenz
 Dem positiven Urteil ging bereits eine Entscheidung aus dem Jahr 2009 mit gleichem Ausgang voran, die erst in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Die Beträge waren noch eindeutiger, denn die Teilleistung betrug genau 1.000 EUR (von insgesamt 77.257 EUR).

6. Verwertung von Steuer-CDs im Besteuerungsverfahren ist zulässig

Kernaussage
 Nach Auffassung des Finanzgerichts Köln bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Steuerbehörden angekaufte ausländische Bankdaten bei der Besteuerung verwenden dürfen. Entsprechende Informationen können demnach Ermittlungen der Steuerfahndung rechtfertigen. Dies gilt auch dann, wenn die Beschaffung der Daten durch den Informanten zuvor rechtswidrig war.

Sachverhalt
 Im entschiedenen Fall hatte das Finanzamt eine von einem Informanten angekaufte "Steuer-CD" ausgewertet und so in Erfahrung gebracht, dass der Antragsteller Vermögen bei einem Schweizer Geldinstitut angelegt hatte. In den Einkommenssteuererklärungen hatte der Antragsteller dagegen keine ausländischen Kapitalerträge erklärt. Das Finanzamt schätzte diese mit 5 % des Kontostandes, was einen Betrag von rund 1,8 Mio. CHF ausmachte. Es lehnte die vom Antragsteller begehrte Aussetzung der Vollziehung dieser Schätzungsbescheide ab. Auch im gerichtlichen Verfahren erläuterte der Antragsteller nicht die der "Steuer-CD" entnommenen Daten über die Kapitalanlagen und weigerte sich, aufklärende Kontounterlagen vorzulegen.

Entscheidung
 Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Beschluss im Jahr 2010 erstmals die Zulässigkeit der Verwertung angekaufter ausländischer Bankdaten im Besteuerungsverfahren bestätigt. Hierauf stützte sich das Finanzgericht. Es hatte keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schätzungen und lehnte insbesondere ein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die im Ausland durch Informanten rechtswidrig erlangten Daten ab. Ein Verwertungsverbot sei lediglich bei Eingriffen in den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung oder bei strafbaren Handlungen der Finanzbeamten anzunehmen. Diese Voraussetzungen sah das Gericht jeweils nicht als erfüllt an. Im zu entscheidenden Fall seien die Daten nicht von Finanzbeamten selbst beschafft, sondern nur entgegengenommen worden.

Konsequenz
 Mit dem Beschluss des Finanzgerichts hat die äußerst umstrittene Praxis der Finanzverwaltung, angekaufte Kundendaten über verheimlichte ausländische Kapitalanlagen heranzuziehen, eine weitere gerichtliche Bestätigung erfahren. Allein vor dem Hintergrund zahlreicher Selbstanzeigen hat sich der Ankauf von "Steuer-CDs" deutlich gerechnet.

7. Widersprüchliches zur Europarechtskonformität der Anrechnungsbegrenzung

Kernproblem
 Die auf ausländische Kapitaleinkünfte entfallende ausländische Kapitalertragsteuer kann im Grundsatz auf die inländische Steuerschuld angerechnet werden (§ 34c EStG). Die Anrechnung ist indes nicht uneingeschränkt möglich: Zum einen ist sie auf den Teil der inländischen Steuer begrenzt, der auf die ausländischen Einkünfte entfällt. Ist im Inland keine oder nur eine geringe Steuer zu zahlen, z. B. aufgrund von Verlustverrechnung mit anderen Einkünften, kann die Anrechnung ins Leere laufen; eine Erstattung ist jedenfalls ausgeschlossen. Zum anderen ist die sog. per-country-limitation, wonach der Höchstbetrag der anrechenbaren ausländischen Steuer für jeden einzelnen ausländischen Staat gesondert zu berechnen ist, zu beachten. Dies führt insbesondere dann zu erheblichen Nachteilen, wenn die ausländischen Investments in verschiedenen Staaten erfolgen, deren Steuerniveau zum Teil deutlich über und zum Teil unter dem deutschen Steuerniveau liegt. Diese Benachteiligung unterliegt zum Teil europarechtlichen Bedenken.

Sachverhalt
 Der einkommensteuerpflichtige Kläger erzielte in den Streitjahren 2004-2006 ausländische Kapitaleinkünfte aus unterschiedlichen Staaten innerhalb und außerhalb der EU. Aufgrund der vorstehend erläuterten Vorschrift des § 34c EStG rechnete das Finanzamt die ausländische Kapitalertragsteuer nur teilweise bei der deutschen Einkommensteuer an. Unter Hinweis auf die Europarechtswidrigkeit der Vorschrift klagte der Steuerpflichtige vor dem Finanzgericht Schleswig-Holstein. Er unterlag zwar in erster Instanz, die Revision wurde aber zugelassen.

Entscheidung
 Die Anrechnungsbegrenzung des § 34c EStG auf die anteilige deutsche Steuer ist nach Auffassung des Gerichts europarechtskonform. Die entstehenden Anrechnungsüberhänge seien das Ergebnis einer mangelnden Steuerharmonisierung innerhalb der EU, insbesondere der unterschiedlichen Steuersätze. Der Wohnsitzstaat (hier: Deutschland) sei aber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht gezwungen, eine höhere Steuerbelastung im Ausland durch unbegrenzte Anrechnung im Inland auszugleichen. Ebenso sei europarechtlich unbedenklich, dass aufgrund der sog. per-country-limitation Anrechnungsüberhänge aus einem Land nicht mit Anrechnungsüberhängen aus einem anderen Land ausgeglichen werden dürfen.

Konsequenzen
 Die Entscheidung steht teilweise im Widerspruch zu einem zeitgleich vom Bundesfinanzhof (BFH) veröffentlichten Urteil. Der BFH äußerte darin durchaus Zweifel an der Europarechtskonformität der Vorschrift des § 34c EStG und legte die Frage daher dem EuGH zur endgültigen Entscheidung vor. Das letzte Wort scheint insoweit also noch nicht gesprochen, so dass entsprechende Fälle mit Hinweis auf das BFH-Urteil offen gehalten werden sollten.

8. Gebührenpflicht für verbindliche Auskünfte ist verfassungskonform

Kernproblem
 Trotz oder gerade wegen der Vielzahl von Gesetzesvorschriften, Gerichtsurteilen und Verwaltungsanweisungen sind Rechtsunsicherheiten in der steuerlichen Beratungspraxis allgegenwärtig. Diese sind nicht nur im unternehmerischen Bereich (besonders bei Fragen der Konzernrestrukturierung sowie der Umsatzsteuer) anzutreffen, sondern können z. B. im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge auch im Privatbereich auftreten. Zur Reduzierung dieser Rechtsunsicherheiten werden daher zunehmend verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung noch nicht verwirklichter Sachverhalte eingeholt.

Sachverhalt
 Seit Ende 2006 ist für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft eine Gebühr zu zahlen, die sich regelmäßig nach dem Wert berechnet, den die Auskunft für den Steuerpflichtigen hat. Gegen die Erhebung dieser Gebührenpflicht wurden in der Vergangenheit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, die allerdings vom Finanzgericht Münster in einem in 2010 ergangenen Urteil nicht geteilt wurden. Dieses Urteil wurde nunmehr vom Bundesfinanzhof (BFH) bestätigt.

Grundsatzentscheidung
 Nach Auffassung des BFH ist die seit Ende 2006 erhobene Gebühr für die Erteilung von verbindlichen Auskünften verfassungsgemäß. Dem Argument, das Steuerrecht sei derart kompliziert, dass die Finanzverwaltung gehalten sei, gebührenfrei über verbindliche Auskünfte zu entscheiden, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr seien für den Steuerpflichtigen durch die verbindliche Auskunft erhebliche Vorteile bereits im Vorfeld von Steuergestaltungen garantiert, die ebenso wie der dadurch entstehende Verwaltungsaufwand seitens der Finanzverwaltung die Erhebung einer Gebühr rechtfertige. Außerdem sei auch kein grobes Missverhältnis zwischen der Gebührenbemessung und den aus seiner Sicht verfolgten legitimen Gebührenzwecken erkennbar.

Konsequenz
 Die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Verfassungskonformität von Rechtsnormen obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Es bleibt daher abzuwarten, ob das oberste Gericht zukünftig die Möglichkeit bekommt, sich diesbezüglich zu äußern. Da der BFH keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gebührenpflicht feststellen konnte, war er insoweit nicht zur Vorlage der Frage verpflichtet. Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob im Rahmen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 die geplante Einführung einer Bagatellgrenze, wonach bei einem Gegenstandswert von unter 10.000 EUR künftig keine Gebühren mehr anfallen sollen, umgesetzt wird.

9. Haftung des Landwirts für Schäden durch ausbrechende Jungrinder

Kernfrage
 Halter von Nutztieren, also Haustieren, die aus beruflichen Gründen oder zu Erwerbszwecken gehalten werden, sind bei durch die Tiere verursachten Schäden haftungsprivilegiert. Für andere Tiere als Nutztiere sieht das Gesetz in allen Fällen eine Haftung des Tierhalters vor. Bei Nutztieren haftet der Tierhalter nicht, wenn er seiner Aufsichtspflicht über das Tier nachgekommen ist oder der Schaden auch bei ausreichender Aufsicht entstanden wäre. Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hatte nunmehr darüber zu entscheiden, ob dieses Haftungsprivileg noch zeitgemäß ist.

Sachverhalt
 Der beklagte Landwirt betreibt Rindviehhaltung. Im Spätherbst hatte er seine weiblichen, erstmals trächtigen Jungrinder auf eine umzäunte Koppel hinter seinem Haus gebracht, um sie dort bis zur endgültigen Überwinterung im Stall zu halten. Ein Jungrind brach dabei in einer Panikreaktion aus und kollidierte mit 2 Autos, deren Halter Schadensersatz gegen den Landwirt geltend machten. Gegen die Schadensersatzansprüche machte der Landwirt sein Haftungsprivileg als Nutztierhalter geltend. Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) in einem ersten Verfahren das Haftungsprivileg des Nutztierhalters als rechtmäßig angesehen hatte, hatte das OLG nunmehr darüber zu befinden, ob der Landwirt seiner Aufsichtspflicht ausreichend nachgekommen war.

Entscheidung
 Auf der Grundlage eines Gutachtens, dass den Ausbruch des Jungtiers als Panikreaktion erwiesen hatte, wies das Gericht die Klage ab. Der Landwirt haftet nicht, auch wenn der Zaun sich an der Ausbruchsstelle möglicherweise nicht in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden haben sollte, weil selbst ein ordentlicher Zaun der Panikreaktion nicht standgehalten hätte. Auch das Halten der Tiere nahe am Haus stelle keine Pflichtverletzung, sondern übliche Praxis zur Gewöhnung der Tiere an den Hofbereich dar.

Konsequenz
 Bei durch Nutztiere verursachten Schäden gilt das Haftungsprivileg zugunsten des Nutztierhalters. Er haftet (weiterhin) nur dann, wenn ihm eine Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden kann.

10. Alter wiegt bei Sozialauswahl stärker als Kinderzahl

Rechtslage
 Nachdem das Alter ein gesetzliches Diskriminierungskriterium ist, stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit arbeitsrechtliche Regelungen, die auf das Alter abstellen, noch angewendet werden können, weil sie stets das Risiko einer Diskriminierung (entweder der älteren oder der jüngeren Arbeitnehmer) bergen. Eine solche Regelung ist beispielsweise im Kündigungsschutzgesetz enthalten, das die soziale Rechtfertigung einer Kündigung insbesondere anhand der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Alter und Unterhaltspflichten prüft. Das Landesarbeitsgericht Köln hat nunmehr zur Gewichtung der einzelnen Kriterien entschieden.

Sachverhalt
 Beim Arbeitgeber standen betriebsbedingte Kündigungen an. Unter anderen sollte einem von 2 Führungskräften gekündigt werden. Beide waren im Wesentlichen gleich lang im Unternehmen beschäftigt und verheiratet. Ein Mitarbeiter war 35 Jahre, der andere 53 Jahre alt; der jüngere Mitarbeiter war 2 Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet, der ältere Arbeitnehmer war kinderlos. Der Arbeitgeber kündigte dem älteren Arbeitnehmer mit der Begründung, die Unterhaltspflichten wögen schwerer als das Alter. Der Arbeitnehmer erhob hiergegen Kündigungsschutzklage und bekam Recht.

Entscheidung
 Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung des älteren Arbeitnehmers unwirksam gewesen sei, weil der jüngere Arbeitnehmer im Gegensatz zum älteren wesentlich bessere Chancen habe, schnell eine neue Anstellung zu finden. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass seine Unterhaltpflichten für die Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht beeinträchtigt gewesen wären.

Konsequenz
 Zwar ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, wie die Sozialauswahlkriterien zueinander zu gewichten sind, allerdings überzeugt das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht. Da das Alter ein Diskriminierungsmerkmal ist, bedeutet die Entscheidung, dass jüngere Arbeitnehmer bei Kündigungen nach Sozialauswahlgesichtspunkten diskriminiert werden dürfen. Ob der sachliche Grund, für jüngere Arbeitnehmer sei es einfacher, einen Job zu finden, eine Rechtfertigung darstellen kann, ist zu bezweifeln. Aus hiesiger Sicht wäre dem objektiven Kriterium der Unterhaltspflicht der Vorrang zu gewähren. Inwieweit die Entscheidung noch durch das Bundesarbeitsgericht überprüft wird, ist derzeit unbekannt.

11. Betriebsteilverlagerung ins grenznahe Ausland ist keine Betriebsstilllegung

Kernfrage
 Wird ein Betrieb stillgelegt, sind betriebsbedingte Kündigungen zulässig. Wird dagegen "nur" eine Betriebsstätte verlegt, ist zu prüfen, ob nicht ein Betriebsübergang vorliegt, der Kündigungen wegen des Betriebsübergangs unzulässig macht. Diese Grundsätze des deutschen Rechts gelten auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. So hatte das Bundesarbeitsgericht jetzt darüber zu entscheiden, ob die Verlagerung einer Betriebsstätte aus Deutschland in die Schweiz zur Betriebsstilllegung (in Deutschland) oder zu einem Betriebsübergang (in die Schweiz) führt.

Sachverhalt
 Der Arbeitgeber war eine in Grenznähe zur Schweiz ansässige Konzerntochter, deren Mutter auch in der Schweiz Unternehmen hat. Zum 1.1.2009 wurde ein Betriebsteil in Deutschland eingestellt und in die Schweiz verlegt; konkret wurden die wesentlichen materiellen und immateriellen Produktionsmittel zu einem weniger als 60 Kilometer entfernten neuen Standort in der Schweiz gebracht. Dem Kläger gegenüber wurden vom deutschen Arbeitgeber 2 Kündigungen seines nach deutschem Recht bestimmten Arbeitsverhältnisses wegen Betriebsstilllegung ausgesprochen. Das Angebot eines neuen Arbeitsvertrages mit dem Schweizer Unternehmen lehnte er ab. Gegen die Kündigung wehrte sich der Arbeitnehmer mit dem Einwand, es liege ein Betriebsübergang vor, der die Kündigung unwirksam mache.

Entscheidung
 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab dem Kläger Recht. Wenn für einen Arbeitsvertrag deutsches Recht maßgeblich sei, so sei die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliege, nach deutschem Recht zu beurteilen. Dies gelte auch, wenn ein Betriebsteil wie im konkreten Fall ins - jedenfalls grenznahe - Ausland verlagert werde. Hier komme es zu einem nach deutschem Recht zu beurteilenden Betriebsübergang, der eine Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigungen durch dringende betriebliche Gründe ausschließe. Eine Berufung auf eine Betriebsstilllegung sei ausgeschlossen, da der Betriebsteil auf das ausländische Unternehmen übertragen worden sei.

Konsequenz
 Der Entscheidung ist zuzustimmen. Die Frage, welche Ansprüche gegen das übernehmende ausländische Unternehmen bestehen und ob sich auch diese nach deutschem Recht richten können, hat das Bundesarbeitsgericht allerdings nicht entschieden. Festzuhalten bleibt, dass die deutschen Betriebsübergangsregelungen jedenfalls nicht an der Grenze Halt machen. Dies gilt zumindest für einen grenznahen Bereich.

12. Finanzamt darf elektronisch falsch übertragene Lohnsteuerdaten nachträglich berichtigen

Kernproblem
 Ist dem Finanzamt bei der Steuerveranlagung ein Fehler zugunsten des Steuerzahlers unterlaufen und fällt dies später der Behörde auf, dann wird sich häufig zu Unrecht auf die Berichtigungsvorschrift des § 129 AO berufen. Hiernach kann die Finanzbehörde Schreib- und Rechenfehler, sowie ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigen, die ihr beim Erlass des Bescheids unterlaufen sind. Das gilt zumindest innerhalb der Verjährungsfrist (i. d. R. 4 Jahre nach Erlass des Bescheids). Ansatzpunkt der Berichtigungsmöglichkeit ist die Würdigung der offenbaren Unrichtigkeit; hier muss es sich um einen rein "mechanischen Fehler" handeln, der die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausschließt.

Sachverhalt
 In dem vom Finanzgericht Münster entschiedenen Fall hatten die betroffenen Eheleute eine fehlerfreie Steuererklärung abgegeben. Der Ehemann war im Streitjahr in insgesamt 4 Arbeitsverhältnissen tätig; er musste also die Daten der Lohnsteuerbescheinigungen addieren (die als Nachweis der Steuererklärung beigefügt waren) und in die Steuererklärung eintragen. Das Finanzamt machte es sich einfach und übernahm per Mausklick die von den jeweiligen Arbeitgebern elektronisch übermittelten Daten, die unvollständig waren und zu einer geringeren Steuerschuld führten. Der Irrtum fiel dann im nächsten Jahr auf und wurde korrigiert - zu Unrecht?

Entscheidung
 Das Finanzgericht Münster hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Nach Auffassung der Richter liege in dem Verhalten des Finanzamts eine typische offenbare Unrichtigkeit in Form eines mechanischen Fehlers und beruft sich hierbei auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der z. B. Übertragungsfehler und Irrtümer über den automatisierten Verfahrensablauf als solche ansieht. Der Fehler sei auch so offenbar, d. h. durchschaubar, eindeutig, augenfällig und läge auf der Hand, dass er von einem verständigen Dritten klar und deutlich erkannt werden könne.

Konsequenz
 Der BFH hatte bereits früher zum Leidwesen des Steuerzahlers festgestellt, dass eine oberflächliche Bearbeitung der Finanzbehörde die Möglichkeit einer Änderung nicht ausschließe. Wenn jedoch eine nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht, ist die Berufung auf § 129 AO rechtsfehlerhaft und sollte angefochten werden. Zum Trost bei mechanischen Fehlern: Die Vorschrift eröffnet auch die Änderung zuungunsten des Finanzamts, wenn diesem der Fehler zuzurechnen ist.

13. Zweitwohnung auf Mallorca ohne Förderung durch Fiskus

Kernproblem
 Zwar ist die Eigenheimzulage für die Anschaffung oder Herstellung von Wohneigentum ab dem 1.1.2006 entfallen; in der Praxis können aber wegen der 8jährigen Laufzeit mitunter noch Anwendungsfälle hochkommen, z. B. wegen einer Nutzungsänderung (vorher vermietet, jetzt selbstgenutzt, etwa durch Gestaltung mit Kindern) oder Begründung/Wegfall von Kinderzulagen. Zudem hat die Rechtsprechung der letzten Jahre verstärkt solche begünstigenden Regelungen der deutschen Steuergesetze im Visier gehabt, die europarechtswidrig nur inländische Sachverhalte fördern. So konnten sich z. B. zuletzt auch Eltern freuen, die Schulgeld ihrer Sprösslinge im EU-Ausland ausgaben, obwohl das deutsche EStG zunächst nur Schulgelder der in Deutschland belegenen Schulen als Sonderausgaben begünstigte. Aber was gibt es Schöneres, als privat motivierte Ausgaben mit einem Steuervorteil des Fiskus noch attraktiver zu gestalten? Das dachte sich auch ein Ehepaar, das eine Zweitwohnung auf Mallorca erwarb und hierfür die Eigenheimzulage begehrte.

Sachverhalt
 In Deutschland ansässige Eheleute erwarben 2001 eine Eigentumswohnung auf Mallorca, die überwiegend durch die Ehefrau für mehrere Monate im Jahr als Zweitwohnung genutzt wurde. Der Einspruch gegen die Ablehnung des im Jahr 2005 gestellten Antrags auf Eigenheimzulage ruhte zunächst wegen eines beim Europäischen Gerichtshof (EUGH) anhängigen Verfahrens. Hier hatten sich einige der Personengruppen, die in Deutschland einer unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, erfolgreich gegen die Voraussetzung einer "im Inland belegenen Wohnung" gewehrt. Hierbei handelte es sich jedoch um solche Personen, die in Deutschland keinen Wohnsitz hatten und entweder der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht (z. B. Staatsbedienstete) oder Grenzpendlerbesteuerung unterlagen. Nachdem die Entscheidung des EUGH ergangen war, lehnte das Finanzamt die Erweiterung der Eigenheimzulage auf im EU-Ausland belegene Wohnungen "normal unbeschränkt Steuerpflichtiger" mit Wohnsitz im Inland ab.

Entscheidung
 Das Finanzgericht Köln wies die Klage der Eheleute ab. Zwar seien die Eheleute in ihrem Recht auf Freizügigkeit und Kapitalverkehrsfreiheit beschränkt, weil das Gesetz den Aufenthalt und eine Investitionen im Ausland hindere. Die Beschränkung sei jedoch - anders als im entschiedenen Fall des EUGH - gerechtfertigt, denn mit der Förderung habe der Gesetzgeber zulässigerweise wohnungsmarktpolitische Zwecke verfolgt. Während etwa Grenzpendler, EU-Beamte oder Diplomaten durch die Aufnahme ihres Wohnsitzes im EU-Ausland den inländischen Wohnungsmarkt entlasteten, bliebe die Anschaffung einer zusätzlichen Wohnung im Ausland ohne Auswirkungen auf den nationalen Wohnungsbestand im Inland.

Konsequenz
 Die Entscheidung ist bisher in der Fachpresse noch wenig kritisiert worden und scheint sinnig.

14. Freigrenze Betriebsfeste: geplante oder teilnehmende Personen? 

Kernproblem
 Kernpunkt vieler Lohnsteueraußenprüfungen ist die Überprüfung von geldwerten Vorteilen, die anlässlich von Betriebsveranstaltungen anfallen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gehören Zuwendungen des Arbeitgebers zu Betriebsveranstaltungen als Leistungen im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse nicht zum Arbeitslohn, wenn es sich um herkömmliche (übliche) Betriebsveranstaltungen und übliche Zuwendungen handelt. Von einer Üblichkeit wird grundsätzlich ausgegangen, wenn nicht mehr als 2 Betriebsveranstaltungen im Jahr durchgeführt werden und die Aufwendungen des Arbeitgebers nicht mehr als 110 EUR brutto je Arbeitnehmer und Veranstaltung betragen. Wird die Freigrenze von 110 EUR überschritten, liegt in voller Höhe Arbeitslohn vor. Zuwendungen an den Ehegatten oder Angehörige des Arbeitnehmers sind diesem zuzurechnen. Kritik erfährt nicht nur die seit 1993 bestehende Freigrenze von 200 DM, die ab 2002 mit besagten 110 EUR zugrunde gelegt wird, sondern auch die Berechnungsmethode. Hier lässt eine Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf aufhorchen.

Sachverhalt
 Die Lohnsteueraußenprüfung bei einer GmbH mit 340 Arbeitnehmern führte zur Nachversteuerung einer Betriebsveranstaltung. Die GmbH hatte erstmalig ein Betriebsfest durchgeführt und rechnete nach einer Umfrage mit 600 Teilnehmern einschl. Familienangehörigen. Dementsprechend wurden Speisen und Getränke bestellt sowie der äußere Rahmen mit Live-Musik, Zelt, Service, Toiletten und Kinderanimation geplant. Tatsächlich nahmen jedoch nur 348 Personen teil, davon 97 Arbeitnehmer mit einer oder mehreren Begleitpersonen. Die Kosten pro Teilnehmer beliefen sich bei 348 Teilnehmern nach Abzug einer Speisenpauschale für die Nichtteilnehmer auf 67,56 EUR. Würde man hingegen auf die ursprünglich geplante Teilnehmerzahl von 600 Personen abstellen, beliefen sich die Kosten auf 52,95 EUR je Teilnehmer. Im letztgenannten Fall würde nur die Teilnahme mit mind. 2 Begleitpersonen zum Arbeitslohn führen; dies entspricht jedoch nicht der Verwaltungsauffassung.

Entscheidung
 Das FG Düsseldorf hielt es für gerechtfertigt, in diesem Fall auf den geplanten Teilnehmerkreis von 600 Personen abzustellen. Die teilnehmenden Arbeitnehmer hätten durch die Nicht-Teilnahme eines Großteils der angemeldeten Arbeitnehmer keine Bereicherung in Form von überzähligen Speisen und Getränken oder überdimensionierten sonstigen Sachleistungen für den äußeren Rahmen erfahren. Insoweit seien sämtliche Kosten der nicht teilnehmenden Arbeitnehmer aus der Durchschnittsberechnung auszuscheiden. Nicht rütteln will das FG an der Freigrenze von 110 EUR - zumindest im Streitjahr 2005.

Konsequenz
 Nach dieser mutigen, aber richtigen Entscheidung hat das FG zur Fortbildung des Rechts die Revision zugelassen. Die Verwaltung hat diese bereits eingelegt, so dass der Ausgang des Verfahrens beim BFH spannend bleibt. Bis dahin sollten unbedingt gleichartige Fälle offengehalten werden.

15. Stiftungsgründung durch Erbeinsetzung: Zuwendungen in Vermögensstock

Kernproblem
 Durch das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements werden ab dem Jahr 2007 Zuwendungen in den Vermögensstock einer gemeinnützigen Stiftung mit bis zu 1 Mio. EUR (innerhalb eines 10-Jahreszeitraums) als Sonderausgabe durch Spendenabzug steuerlich gefördert. Dass die Zuwendungen ertragsteuerlich nicht genutzt werden können, hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt für den Fall entschieden, dass sie erst mit dem Tod steuerlich abfließen.

Sachverhalt
 Ehegatten hatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet und sich gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Nach dem Tode des Nachversterbenden sollte der Nachlass auf eine von Todes wegen errichtete gemeinnützige Stiftung übergehen. Hierzu kam es dann im Jahr 2006. Die gegründete Stiftung des privaten Rechts reichte als Erbin für die Erblasserin die Einkommensteuererklärung 2006 ein und machte einen Betrag von 1 Mio. EUR steuerlich durch Spendenbescheinigung geltend. Nach dem für das Streitjahr 2006 geltenden Einkommensteuergesetz wurden Zuwendungen von bis zu 307.000 EUR gefördert. Das Finanzamt lehnte jedoch den Spendenabzug mit der Begründung ab, dass der Abfluss erst mit dem Tod und damit nach dem Erlöschen der persönlichen Steuerpflicht erfolgt sei.

Entscheidung
 Der BFH ist der Vorinstanz gefolgt und hat den Spendenabzug mit der Begründung abgelehnt, dass bis zum Todeszeitpunkt keine Zuwendungen in die Stiftung geleistet wurden. Auslösendes Moment für den Übergang der Erbschaft sei der Tod des Erblassers. Keine Auswirkung auf den Abflusszeitpunkt habe die Tatsache, dass es sich bei der Erbeinsetzung um eine freiwillige Entscheidung des Erblassers zu dessen Lebzeiten handele. Auch das Argument der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vermochte den Senat nicht umzustimmen, denn die Erblasserin hätte zu Lebzeiten frei über das Vermögen verfügen und es auch verbrauchen können. Eine Abweichung vom allgemeinen steuerlichen Abflussprinzip rechtfertige auch nicht die zivilrechtliche Sonderregelung (§ 84 BGB), nach der die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod als entstanden gelten, wenn die Stiftung nach dem Tod als rechtsfähig anerkannt wird.

Konsequenz
 Die Zuwendungen müssen zu Lebzeiten erfolgen, um den eigenen Spendenabzug zu ermöglichen. Hierfür muss die Stiftung bereits gegründet sein und den Gemeinnützigkeitsstatus erlangt haben.

16. Kein Entgelt für die Übersendung von "Zwangskontoauszügen"

Kernaussage
 Kreditinstitute, die ihren Kunden unaufgefordert Kontoauszüge zusenden, dürfen für diese Leistung kein Entgelt verlangen. Sie müssen ihre Kunden mindestens einmal monatlich kostenfrei über Zahlungsvorgänge auf deren Konto informieren. Das entschied jüngst das Landgericht Frankfurt.

Sachverhalt
 In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Bank war festgelegt, dass Kunden den Kontoauszug per Post zugeschickt bekommen, sofern sie diesen nicht innerhalb von 30 Bankarbeitstagen am Kontoauszugdrucker abrufen. Für die Übersendung sollten die Kunden ein Entgelt von 1,94 EUR zahlen. Ähnliche Gebührenklauseln für so genannte "Zwangskontoauszüge" verwenden auch zahlreiche andere Banken und Sparkassen. Gegen die Klausel der Deutschen Bank klagte die Verbraucherzentrale Bundesverband und gewann.

Entscheidung
 Das erhobene Entgelt für die Übersendung der Zwangskontoauszüge war unzulässig. Die Richter entschieden, dass eine Bank ist grundsätzlich gesetzlich verpflichtet ist, ihren Kunden mindestens einmal im Monat über die Zahlungsvorgänge auf seinem Konto zu informieren, ob online, am Auszugsdrucker oder per Zusendung. Für die Erfüllung dieser Pflicht darf kein Entgelt erhoben werden. Dies ist nur in gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen möglich, etwa wenn der Kunde eine zusätzliche Zusendung ausdrücklich verlangt. Eine solche Ausnahme der ausdrücklich verlangten zusätzlichen Zusendung hat das Landgericht Frankfurt im vorliegenden Fall verneint. Wenn der Kunde die Kontoauszüge nicht abhole, verlange er damit nicht deren Zusendung. Es stehe im Belieben der Bank, die Auszüge nach Ablauf der 30-Tage-Frist per Post zu versenden.

Rechtsprechung zur Gebührenerhebung durch Kreditinstitute
 - Die Bank ist gesetzlich verpflichtet, die von ihr verwalteten Wertpapiere kostenfrei herauszugeben, wenn der Kunde das will. Allerdings darf die Bank für die Depotführung und für den An- und Verkauf von Wertpapieren kassieren. - Für ein Vertragsangebot, das der Kunde ablehnt, darf die Bank nichts berechnen. Es gehört zu den üblichen Risiken jeder Geschäftstätigkeit, dass Kunden abspringen, bevor es zu einem Vertragsschluss kommt. - Es gehört zur Pflicht der Bank, bei einem Baudarlehen eingehende Raten ordnungsgemäß zu verbuchen und den Kunden darüber kostenfrei zu informieren. - Verweigert die Bank die Einlösung von Lastschriften, Schecks, Daueraufträgen und Überweisungen, weil das Konto nicht gedeckt ist, wird die Bank im eigenen Sicherheitsinteresse tätig. Sie darf dafür keine Kosten berechnen, auch nicht für die Nachricht über die Nichtausführung. - Wenn der Kunde Geld aufs eigene Konto einzahlt oder davon abhebt, darf die Bank nur dann Gebühren erheben, wenn das vorher vertraglich vereinbart wurde. Dann wird jede Buchung extra abgerechnet. Mindestens 5 müssen im Monat aber in jedem Fall kostenlos sein. Bei Einzahlungen auf ein fremdes Konto darf die Bank dafür ein Entgelt berechnen. - Nach Verlust oder Beschädigung einer Kreditkarte darf die Bank nicht in jedem Fall für eine Ersatzkarte Geld verlangen. Ist die Bank selbst für den Verlust verantwortlich, muss die Ersatzkarte kostenlos sein. - Je mehr Mahnungen die Bank wegen eines Sachverhalts schickt, desto geringer müssen die Kosten der einzelnen Mahnung werden, denn der Sachverhalt muss nicht jedes Mal neu dargestellt werden. Mahnkosten über 3 EUR sind kaum zu begründen. - Wenn die Bank oder Dritte im eigenen Interesse Auskünfte einholen, sind das allgemeine Geschäftskosten, für die der Kunde nichts zahlen muss. Nur wenn er die Bank ausdrücklich auffordert, Auskünfte weiterzugeben, kann sie dafür Gebühren erheben. - Die Bank ist gesetzlich verpflichtet, Pfändungsbeschlüsse kostenfrei zu bearbeiten und monatlich zu überwachen. - Kosten für allgemeine Telefonate und Kopien darf die Bank nicht auf die Kunden abwälzen. Nur wenn sie auf ausdrücklichen Kundenwunsch zusätzlich telefoniert und kopiert, darf sie Kosten geltend machen - aber nur so viel, wie ihr tatsächlich entstanden sind. - Die Bank ist gesetzlich verpflichtet, Freistellungsaufträge zu verwalten und zu ändern. Sie darf dafür keine Gebühr verlangen. - Die Auskunft über den Kontostand ist kostenlos. Wenn das am Schalter nicht möglich ist, muss ein Auszugsdrucker bereit stehen. - Wenn Kunden von der Bank unzulässige Gebühren zurückfordern, darf sie nicht darauf bestehen, dass diese die Belastung mit Datum und Betragshöhe nachweisen. Sie muss kostenlos über die strittige Abbuchung Auskunft geben. - Die Bank muss bei einer Überweisung dafür sorgen, dass das Geld beim Empfänger ankommt. Forscht sie über den Verbleib nach, handelt sie im eigenen Interesse. - Die Bank ist vertraglich verpflichtet, einer Reklamation nachzugehen. Sie darf keine Gebühren verlangen. - Wenn Kunden ihre Kreditkarte vor Ende der vereinbarten Laufzeit zurückgeben, müssen diese für die restliche Zeit nicht zahlen. Das gilt auch für die EC-Karte. - Kunden dürfen ein Girokonto ohne Angabe von Gründen und ohne Kündigungsfrist auflösen. Auch wenn ein Sparvertrag fristgemäß gekündigt wird, fallen keine Gebühren an.

17. Versagung der Restschuldbefreiung wg. Verletzung von Mitwirkungspflichten

Kernaussage
 Nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung (§§ 20, 94 InsO) ist über sämtliche, das Insolvenzverfahren betreffende Verhältnisse Auskunft zu erteilen. Dazu entschied der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich: wenn ein Schuldner eine im Zeitraum zwischen der Stellung eines ersten Insolvenzantrags und der Stellung eines weiteren (mit einem Restschuldbefreiungsgesuch verbundenen Insolvenzantrags) vorgenommene Grundstücksschenkung auf Nachfrage nicht angibt, liegt hierin ein zumindest grob fahrlässiger Verstoß gegen seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten.

Sachverhalt
 Der Schuldner beantragte im Juli 2005 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Nach erfolgten Hinweisen durch das Insolvenzgericht stellte er unter Verwendung von Formblättern im August desselben Jahres abermals einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, den er mit einem Restschuldbefreiungsantrag verband. In dem eingereichten Vermögensverzeichnis gab der Schuldner durch Ankreuzen des Kastens "nein" an, in den letzten 4 Jahren keine Vermögensgegenstände verschenkt und in den letzten 2 Jahren keine Vermögensgegenstände an nahe Angehörige veräußert zu haben. Zwischenzeitlich hatte er aber Ende Juli 2005 seinen Miteigentumsanteil an einem Grundstück unentgeltlich auf seine Ehefrau übertragen. Im November 2005 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Den vom Gläubiger gestellten Antrag, dem Schuldner die Restschuldbefreiung wegen der Grundstücksveräußerung zu versagen, lehnten die Untergerichte ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

Entscheidung
 Der BGH versagte dem Schuldner die Restschuldbefreiung, weil er seine Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten grob fahrlässig verletzt hat. Er verschwieg trotz der in dem Antrag enthaltenen ausdrücklichen Fragestellung eine Schenkung bzw. eine Veräußerung von Vermögensgegenständen an einen nahen Angehörigen. Nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften ist über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu erteilen. Die Auskunft umfasst alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die für das Verfahren in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können. Die Verpflichtung ist nicht davon abhängig, dass an den Schuldner entsprechende Fragen gerichtet werden. Weil der Schuldner das Formular selbst ausgefüllt und die Richtigkeit der Angaben durch seine Unterschrift bestätigt hatte, musste ihm aufgrund der konkreten Fragestellung in dem Formular der damit bezweckte, auf Schenkungen und Veräußerungen an nahe Angehörige gerichtete Inhalt seiner Auskunftspflicht bewusst sein.

Konsequenz
 Der BGH setzt seine Rechtsprechung zur groben Fahrlässigkeit konsequent fort. Um auf der sicheren Seite zu sein, muss ein Schuldner die betroffenen Umstände von sich aus, ohne besondere Nachfrage, offen legen, soweit sie offensichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen.

18. Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur bei konkretem Verdacht

Rechtslage
 Die Videoüberwachung von Arbeitnehmern an ihrem Arbeitsplatz ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber einen besonderen sachlichen Grund nachweisen kann. Kommen Straftaten vor, setzt dies regelmäßig einen Verdacht gegenüber (konkreten) Arbeitnehmern voraus, der eine gewisse Stärke erreicht haben muss. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hatte nunmehr zu den Anforderungen an diesen Verdacht zu entscheiden.

Sachverhalt
 Der Arbeitgeber ist Betreiber eines Brauhauses. 2 Arbeitnehmern warf er vor, die ausgeschenkten Biere nicht ordnungsgemäß abgerechnet zu haben und legte zum Beweis Videoaufzeichnungen vor, die er heimlich angefertigt hatte. Beide Arbeitnehmer obsiegten mit ihren gegen die daraufhin erfolgten Kündigungen gerichteten Klagen, weil das Arbeitsgericht die Videoaufzeichnungen als unzulässig einstufte und nicht verwertete.

Entscheidung
 Der Arbeitgeber konnte vor Erstellung der Videoaufzeichnungen nur den abstrakten und pauschal gegen sämtliche Ausschenkende gerichteten Verdacht auf nicht ordnungsgemäße Abrechnung nachweisen. Diese pauschale Verdachtsstufe, die nicht weiter gegenüber einzelnen Arbeitnehmern konkretisiert war, reichte zur Videoüberwachung nicht aus. Erforderlich ist diese Konkretisierung im Hinblick auf die Person des Tatverdächtigen und die begangene Tat. Nur dann sind heimliche Videoaufzeichnungen zulässig.

Konsequenz
 Ohne einen konkreten gegen einzelne Personen und Tatabläufe gerichteten Verdacht ist eine heimliche Videoüberwachung stets unzulässig. Erforderlich sind nachprüfbare Anhaltspunkte. Eine andere Entscheidung wäre wohl möglich gewesen, wenn der Arbeitgeber eine offene Videoüberwachung mit der Begründung durchgeführt hätte, angesichts der Kassenbefugnis im Ausschank sei ein sensibler Bereich betroffen.

19. Mutterschutzzeiten in betrieblicher Zusatzversorgung zu berücksichtigen

Kernfrage
 Zusatzversorgungskassen im öffentlichen Dienst stellen eine umlagefinanzierte betriebliche Altersversorgung dar. Sind für einen bestimmten Zeitraum (Wartezeit) für einen Arbeitnehmer Umlagen gezahlt worden, hat dieser Anspruch auf eine Zusatzversorgung. Das Bundesverfassungsgericht hatte nunmehr darüber zu entscheiden, ob die Regelung einer Zusatzversorgungskasse, Mutterschutzzeiten, in denen keine Umlage gezahlt worden ist, im Rahmen der Bestimmung der Wartezeit außen vor zu lassen, verfassungsgemäß ist.

Sachverhalt
 Die Klägerin war im öffentlichen Dienst beschäftigt und dort im Mutterschutz gewesen. Da Mutterschutzgeld steuerfrei ausgezahlt wird, wurde für diese Zeit keine Umlage zur Zusatzversorgung gezahlt; anders als für Krankheitszeiten, in denen kranke Arbeitnehmer Lohnfortzahlung und Zuschüsse zum Krankengeld erhielten. Die Statuten der Zusatzversorgung sahen vor, dass ein Anspruch nur dann bestand, wenn mindestens 60 Monate Umlage gezahlt worden war. Da für die Klägerin aufgrund der Mutterschutzzeiten lediglich 59 Monate Umlage gezahlt wurde, lehnte die Zusatzversorgungskasse den Leistungsantrag der Klägerin ab und unterlag vor dem Bundesverfassungsgericht.

Entscheidung
 Die Satzungsregelung, Mutterschutzzeiten deshalb bei der Wartezeit für die Zusatzversorgung nicht zu berücksichtigen, weil in dieser Zeit keine Umlage gezahlt werde, stellt nach Ansicht der Richter eine den Gleichheitsgrundsatz verletzende geschlechterbezogene Diskriminierung dar. Nicht nur würden Mütter gegenüber männlichen Arbeitnehmern benachteiligt; eine ungerechtfertigte Benachteiligung liege auch gegenüber erkrankten Arbeitnehmern vor. Zwar stelle die Befreiung von der Umlage während des Mutterschutzes eine Erleichterung dar, die eigentlich dazu diene, Mütter im Arbeitsleben zu schützen, weil Mehrkosten (hier: der Umlage) vermieden würden, dies dürfe im Ergebnis aber nicht dazu führen, dass eine Diskriminierung bei den Beitragszeiten entstehe.

Konsequenz
 Die Entscheidung überrascht nicht. Sie hat über den konkreten Fall der Klägerin hinaus aber weitreichende Folgen. Denn jede im öffentlichen Dienst beschäftigte Frau mit Zusatzversorgung kann eine Nachberechnung ihrer Zusatzversorgung unter Einbeziehung von Mutterschaftszeiten verlangen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist dies auch rückwirkend möglich.

20. Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten in Zusatzversorgung

Kernfrage
 Ungeachtet der weitestgehenden Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten, sehen diverse Regelungen, hier konkret die Knüpfung zusätzlicher Versorgungsbezüge an den Bestand einer Ehe, die Besserstellung von Ehegatten vor. Der Europäische Gerichtshof hatte nunmehr für den Bereich der Zusatzversorgungsbezüge zu klären, ob darin eine europarechtswidrige Diskriminierung zu sehen sei.

Sachverhalt
 Der Kläger war ehemals im öffentlichen Dienst beschäftigt, aber seit 1990 erwerbsunfähig und bezog daher eine Zusatzversorgung der öffentlichen Hand. Im Jahre 2001 ging er eine eingetragene Lebenspartnerschaft ein und verlangte daraufhin die Neuberechnung seiner Zusatzversorgung aufgrund der nach seiner Sicht anzuwendenden besseren Einstufung von Ehegatten. Sein Antrag wurde mit der Begründung, der Kläger sei nicht verheiratet, zurückgewiesen. Hierin sah der Kläger eine unzulässige Diskriminierung wegen seiner sexuellen Ausrichtung.

Entscheidung
 Der Europäische Gerichtshof, der auf Vorlage des Arbeitsgerichts entschied, gab dem Kläger Recht. Zum 3.12.2003 musste die Gleichstellungsrichtlinie der Europäischen Union in Beschäftigung und Beruf umgesetzt sein. Da das deutsche Recht die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe rechtlich wenn nicht gleich, so doch sehr vergleichbar ausgestaltet habe, stelle eine Ungleichbehandlung von Lebenspartnern und Ehegatten im Bereich der Zusatzversorgung (Entlohnung) eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung dar. Daher sei der öffentliche Versorgungsträger ab dem 3.12.2003 zur Zahlung der Ehegatten-Versorgung verpflichtet.

Konsequenz
 Die Entscheidung überrascht nicht; sie liegt auf der Linie des Europäischen Gerichtshofes, Diskriminierung, insbesondere aufgrund sexueller Ausrichtung, zu unterbinden. Bedeutung gewinnt die Entscheidung aber dadurch, dass die höheren Zahlungsansprüche ab dem 3.12.2003 entstehen und somit wohl auch in regelverjährten Fällen rückwirkend eingefordert werden können.

21. Voraussetzungen und Durchsetzung einer Nettolohnvereinbarung

Kernfrage
 Bei einer Nettolohnvereinbarung ist der Arbeitgeber verpflichtet, die aus dem vereinbarten Nettolohn hochgerechneten Lohnsteuern und Sozialversicherungsabgaben zusätzlich zu leisten. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte neben der Frage, ob im Streitfall eine Nettolohnvereinbarung tatsächlich vorlag, zu klären, ob und ab welchem Zeitpunkt der Arbeitnehmer im Falle einer Nettolohnvereinbarung auf Zahlung der ausstehenden Lohnbestandteile (hier Lohnsteuer) klagen kann.

Sachverhalt
 Der Kläger war Profisportler, der im Zusammenhang mit einem Vereinswechsel ein Handgeld und eine Ablösesumme über seinen Spielervermittler erhalten hatte. Da Handgeld und Ablöse unversteuert blieben, wurde der Kläger wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Mit seiner auf Zahlung des "fehlenden" Steuerbetrages gerichteten Klage machte der Sportler geltend, dass mit dem Verein die Zahlung des Handgeldes und der Ablöse netto vereinbart gewesen sei. Der Verein bestritt hierbei nicht nur, dass eine Nettolohnvereinbarung vorgelegen habe, sondern trug auch vor, er habe nicht gewusst, dass die Zahlungen an den Spielervermittler von diesem an den Sportler weitergeleitet worden seien.

Entscheidung
 Das Gericht wies die Klage ab. Dabei unterstrich es zunächst, dass derjenige, der sich auf die Nettolohnvereinbarung beruft, für deren Vorliegen auch beweispflichtig ist. Dies sei dem Sportler bisher nicht ausreichend gelungen. Abgewiesen wurde die Klage aber deshalb, weil die eingeklagten Steuerbeträge noch nicht an das Finanzamt abgeführt worden waren. Sei dies aber der Fall, sei allenfalls Freistellung denkbar.

Konsequenz
 Macht ein Arbeitnehmer das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung geltend, ist er für deren Vorliegen beweispflichtig. Eine Zahlungsklage ist erst dann zulässig, wenn die Steuern (und ggf. Sozialversicherungsabgaben) vom Arbeitnehmer an die Behörden abgeführt worden sind. Vorher ist allenfalls eine auf Freistellung von der Abgabenlast gerichtete Klage denkbar.

22. Zulagenwiderruf in Altfällen - möglicherweise wirksam

Kernfrage
 Seitdem die Rechtsprechung Arbeitsvertragsklauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen behandelt, müssen sie den seit dem 1.1.2002 geltenden strengeren zivilrechtlichen Anforderungen standhalten. Danach gilt, dass Arbeitsvertragsklauseln, die Zulagen oder Gehaltsbestandteile unter den freien Widerruf des Arbeitgebers stellen, als überraschende Klauseln in der Regel unwirksam sind. Für die Wirksamkeit mindestens erforderlich ist, dass Widerrufgründe genannt sind. Das Bundesarbeitsgericht hat sich jetzt dazu geäußert, ob die Unwirksamkeitsrechtsprechung auch dann gelten kann, wenn die streitige Arbeitsvertragsklausel vor dem Inkrafttreten der strengeren gesetzlichen Anforderungen vereinbart worden ist.

Sachverhalt
 Der Arbeitsvertrag des Klägers aus dem Jahr 1990 sah eine widerrufliche Zulage vor, die der Arbeitgeber im Jahr 2007 widerrief. Mit seiner Klage machte der Kläger die Unwirksamkeit des Widerrufs geltend. Der Arbeitgeber trug jedoch vor, dass die neuere Rechtsprechung zur Überprüfung von Arbeitsvertragsklauseln nach Gesichtspunkten Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht auf Regelungen anwendbar seien, die vor der Verschärfung der zivilrechtlichen Gesetzgrundlage vereinbart worden seien; jedenfalls müsse hier eine ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen werden, was den Widerruf möglich werden lasse.

Entscheidung
 Das Gericht gab dem Arbeitgeber jedenfalls insoweit Recht, als dass die Rechtsprechung nach neuer Rechtslage nicht unmittelbar auf Altfälle angewendet werden könne. Da nach neuer Rechtsprechung zulässige Widerrufsgründe im Arbeitsvertrag enthalten sein müssen, sei eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich, die von der zweiten Instanz nachgeholt werden müsse. Ziel dabei sei, festzustellen, ob der vom Arbeitgeber behauptete Widerrufsgrund der "schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse" ein zulässiger Widerrufgrund ist und ob tatsächlich schwierige wirtschaftliche Verhältnisse vorgelegen hätten.

Konsequenz
 Die Entscheidung ist zu begrüßen. In sogenannten Altfällen, also bei Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 datieren, erscheint es nunmehr möglich, dass Arbeitsvertragsklauseln, die erst durch die Verschärfung der Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam geworden sind, doch noch "gerettet" werden können.

23. Abmahnung verbraucht Kündigungsgrund auch bei Straftat

Kernfrage
 Begeht ein Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung, ist es am Arbeitgeber, zu entscheiden, mit welcher Sanktion, Abmahnung oder Kündigung, er reagiert. Wählt er die Abmahnung, stellt sich die Frage, ob er aus dem gleichen Grund noch kündigen kann. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte in einer solchen Konstellation zu entscheiden, ob eine zunächst abgemahnte Straftat nach Verurteilung noch zur Kündigung berechtigt.

Sachverhalt

Der Kläger war Justizangestellter und hatte einen Kollegen über einen Durchsuchungsbeschluss gegen ein Kind des Kollegen unterrichtet und war hierfür zunächst abgemahnt worden. In dem im Anschluss gegen den Kläger eingeleiteten Strafverfahren wurde er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, worauf hin der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos hilfsweise fristgerecht kündigte. Die hiergegen geführte Kündigungsschutzklage war erfolgreich.

Entscheidung
 Der Arbeitgeber konnte das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der (nachträglichen) Verurteilung kündigen. Zwar wäre die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Straftat zulässig und möglich gewesen. Weil der Arbeitgeber aber die Abmahnung wählte, war der Kündigungsgrund verbraucht. Nach Ansicht der Richter stellte die Verurteilung insoweit keine neue Tatsache dar, zumal sie sich auf den abgemahnten Sachverhalt bezog.

Konsequenz
 Der Arbeitgeber muss sich bei jeder Pflichtverletzung entscheiden, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen er zieht. Dies gilt auch im Straftatbereich. Er kann nicht zunächst abmahnen, um dann abzuwarten, wie sich ein Strafverfahren entwickelt.

24. Ist ein Vertragsarzt Amtsträger im Sinne des Strafrechts?

Kernaussage
 Wer einem Amtsträger eine Vorteil dafür verspricht, dass er eine Diensthandlung vornimmt und dadurch seine Dienstpflichten verletzt, wird nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches wegen Bestechung mit Freiheitsstrafe bestraft. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (BGH) muss nunmehr darüber entscheiden, ob ein Vertragsarzt Amtsträger im Sinne des deutschen Strafrechts ist. Das zugrundeliegende Revisionsverfahren betrifft die Strafbarkeit von Beteiligten am sog. Pharmamarketing.

Sachverhalt
 Die Staatsanwaltschaft Verden führte gegen den Geschäftsführer eines Unternehmens ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und der Bestechung. Das Unternehmen vertreibt als Hilfsmittel im Sinne der sozialrechtlichen Regelungen eingeordnete Geräte, die zur elektromedizinischen Reizstromtherapie bestimmt sind. Nachdem das Ermittlungsverfahren mit der Begründung eingestellt worden war, der Geschäftsführer sei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen, hat die Staatsanwaltschaft in einem selbstständigen Verfallsverfahren beantragt, gegen das Unternehmen Wertersatz in Höhe von 350.225 Euro für verfallen zu erklären. Das Landgericht Stade hat diesen Antrag als unzulässig verworfen. Nach den von ihm getroffenen Feststellungen schloss das Unternehmen mit der AOK Verträge über die Abgabe der Reizstromtherapiegeräte an Patienten zur häuslichen Eigenanwendung. Es stellte zudem niedergelassenen Ärzten hochwertige Apparaturen für deren Praxis zur Verfügung und erließ das hierfür zu zahlende Entgelt vollständig oder teilweise, wenn der Arzt Verordnungen über den Bezug eines Reizstromtherapiegeräts ausstellte und diese dem Unternehmen zukommen ließ. Zwischen September 2004 und November 2008 gingen dem Unternehmen mehr als 70.000 Verordnungen zu. Es rechnete seine Leistungen sodann jeweils gegenüber der AOK ab.

Entscheidung
 Nach Ansicht des Landgerichts lag weder eine Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) noch eine Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) oder Bestechlichkeit (§ 334 StGB) vor. Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision.

Konsequenz
 Der BGH wird u. a. darüber zu befinden haben, ob ein niedergelassener Vertragsarzt bei der Verordnung von Hilfsmitteln als Amtsträger anzusehen ist mit der Folge, dass die Beteiligten ein Amtsdelikt begehen können. Wird dies verneint, ist zu klären, ob der Vertragsarzt Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des Strafgesetzbuches ist. Diese Frage ist umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Im Zusammenhang mit einer möglichen Strafbarkeit wegen Betrugs und Untreue ist bisher lediglich entschieden, dass der Vertragsarzt bei der Verordnung eines Arzneimittels als Vertreter der Krankenkasse handelt und mit Wirkung für und gegen diese eine Willenserklärung zum Abschluss eines Kaufvertrages über das verordnete Medikament abgibt.

25. Zum Beginn der Festsetzungsfrist bei Antragsveranlagungen

Rechtslage
 Besteht das Einkommen aus Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen wurde, und entsprechend mit einer Lohnsteuererstattung zu rechnen ist, wird eine Veranlagung nur auf Antrag des Steuerpflichtigen durchgeführt. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 wurde die zweijährige Antragsfrist aufgehoben. Für Veranlagungszeiträume ab 2005 und bei Anträgen, die nach dem 28.12.2007 gestellt werden, sind nunmehr die Regelungen über Verjährungsfristen zu beachten. Die reguläre Festsetzungsverjährung beträgt 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob zusätzlich die 3-jährige Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) eingreift und damit im Ergebnis eine 7-jährige Festsetzungsfrist gilt.

Sachverhalt
 Die Klägerin bezog im Streitjahr 2003 ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Im Januar 2008 reichte sie eine Einkommensteuererklärung für 2003 ein. Das beklagte Finanzamt vertrat die Ausfassung, dass die zweijährige Antragsfrist abgelaufen sei. Hiergegen richtet sich die Klage.

Entscheidung
 Das Finanzgericht gab der Klägerin Recht. Die Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist mit dem Jahressteuergesetz 2008 entfallen. Die Festsetzungsfrist beginnt daher mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, also mit Ablauf des 31.12.2003. Die reguläre 4-jährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. Nr. 2 AO) endet mit Ablauf des 31.12.2007, so dass die im Januar 2008 eingereichte Steuererklärung verspätet ist. Der Erfolg der Klage hängt davon ab, ob zusätzlich die -jährige Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) eingreift. Im Gegensatz zu einer früheren Entscheidung eines anderen Senats desselben Finanzgerichts (Baden-Württemberg), vertrat der mit der vorliegenden Klage befasste Senat die Auffassung, dass die Anlaufhemmung aufgrund verfassungskonformer Auslegung zu berücksichtigen sei. Anderenfalls läge eine gegen Art. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung derjenigen, die nur auf Antrag zu veranlagen seien, gegenüber denjenigen, für die eine Veranlagungspflicht bestehe, vor. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig. Das Revisionsverfahren ist beim Bundesfinanzhof anhängig.

Konsequenz
 Der Antrag auf Lohnsteuererstattung sollte innerhalb von 4 Jahren gestellt werden. Bis zum 31.12.2011 können daher noch "freiwillige" Einkommensteuererklärungen für das Jahr 2007 abgegeben werden. Unter Bezugnahme auf das anhängige Revisionsverfahren können sogar noch Veranlagungen für 2004 beantragt werden. Das Urteil des BFH bleibt mit Spannung abzuwarten.



Für Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen



Stephan Gißewski

Steuerberater


Ulmenweg 6-8 - 32760 Detmold
Tel.: 05231 / 933 460
www.gißewski.de